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Dichtigkeitstest sagt undicht – Funktionstest sagt dicht!

In der industriellen Fertigung ist die Dichtheitsprüfung ein zentrales Qualitätsmerkmal.
Ein Bauteil gilt als dicht, wenn kein unerwünschter Stoffaustausch zwischen seinem Inneren und der Umgebung stattfindet oder dieser unterhalb eines definierten Grenzwerts liegt.
Die Dichtigkeit wird dabei meist unter standardisierten Prüfbedingungen überprüft – beispielsweise durch einen Luft-Druckabfalltest.

In der Praxis tritt jedoch immer wieder der Fall auf, dass ein Bauteil im Dichtigkeitstest als undicht klassifiziert wird, im Funktionstest unter realen Betriebsbedingungen jedoch keinerlei Leckage zeigt.
Dieser scheinbare Widerspruch führt zu berechtigter Verunsicherung bei Prüfpersonal und Qualitätssicherung: Wie kann ein Teil gleichzeitig undicht und dicht sein?

Ursache des Widerspruchs

Die Erklärung liegt im Unterschied zwischen geprüfter und funktionaler Dichtheit.
Die geprüfte Dichtheit beschreibt das Verhalten des Prüflings unter definierten Prüfbedingungen, z. B. beim Test mit Luft als Prüfgas.
Die funktionale Dichtheit hingegen bezieht sich auf das reale Betriebsverhalten – also auf die Fähigkeit, das im Einsatz vorgesehene Medium (z. B. Kühlflüssigkeit, Öl oder Gas) sicher zurückzuhalten.

Ein Luftlecktest misst die Leckrate typischerweise in standard cubic centimeters per minute (sccm).
Dabei gilt:

  • Liegt die Leckrate unterhalb des festgelegten Grenzwertes (z. B. 4 sccm), wird der Prüfling als dicht bewertet.

  • Liegt sie darüber, lautet das Prüfergebnis undicht.

Der Widerspruch entsteht, weil die physikalischen Eigenschaften des Prüfmediums (Luft) nicht denjenigen des Betriebsmediums (z. B. Flüssigkeit) entsprechen.
Luft hat eine wesentlich geringere Viskosität und keine Oberflächenspannung – sie kann also bereits durch kleinste Mikroöffnungen entweichen, durch die eine Flüssigkeit aufgrund höherer Kohäsionskräfte und Oberflächenspannung nicht austritt.

Beispiel aus der Praxis

In einer Untersuchung eines Automobilkühlerherstellers wurde diese Diskrepanz quantifiziert.
Die Kühlerbaugruppen wurden zunächst trocken mit Luft geprüft. Dabei zeigte sich, dass eine Leckrate von 22 cm³/min einer Bohrung von etwa 22 µm Durchmesser entspricht.
Anschließend wurden dieselben Baugruppen mit einem Wasser-Glykol-Gemisch gefüllt und 24 Stunden im Dauertest beobachtet.
Erst die Kühler mit einer Leckrate oberhalb von 22 cm³/min zeigten einen sichtbaren Flüssigkeitsaustritt; alle anderen blieben funktional dicht.

Aus diesen Ergebnissen wurde abgeleitet, dass ein Prüfgrenzwert von 4 cm³/min eine ausreichende Sicherheitsmarge bietet – jede „geprüfte Dichtheit“ nach diesem Kriterium garantiert also eine funktionale Dichtheit im Betrieb.
Umgekehrt gilt:
Ein im Lufttest als „undicht“ klassifiziertes Bauteil kann unter Flüssigkeitsbedingungen weiterhin funktionsfähig dicht sein.

Auflösung des Widerspruchs

Der scheinbare Widerspruch löst sich auf, wenn man versteht, dass der Dichtigkeitstest nicht das reale Verhalten des Bauteils abbildet, sondern eine konservative, sicherheitsorientierte Prüfung darstellt.
Der Prüfgrenzwert (z. B. 4 sccm) wird bewusst so gewählt, dass alle Prüflinge, die ihn einhalten, mit hoher Sicherheit auch funktional dicht sind.
Der Test dient somit als Filter mit Sicherheitsfaktor, nicht als exakte Simulation der Einsatzbedingungen.

Daraus ergibt sich eine einseitige Beziehung:

Geprüft dicht ⇒ Funktional dicht
Geprüft undicht ⇏ Funktional undicht

Das bedeutet:
Jedes Bauteil, das die Luftprüfung besteht, erfüllt die funktionale Anforderung.
Ein Bauteil, das die Luftprüfung nicht besteht, kann dennoch funktional dicht sein – muss aber technisch bewertet werden, bevor es freigegeben oder ausgesondert wird.

Konsequenzen für die Qualitätssicherung

Der Unterschied zwischen geprüfter und funktionaler Dichtheit hat direkte Auswirkungen auf das operative Qualitätsmanagement:

a) Prüfgrenzen müssen funktional validiert sein

Prüfgrenzwerte dürfen nicht ausschließlich nach Messbarkeit, sondern müssen nach Funktionsanforderungen festgelegt und regelmäßig validiert werden.
(Siehe JW Froehlich „Lecktestfibel“: „Dichtheit ist ein relativer Begriff, der sich immer auf die Einsatzbedingungen bezieht.“)

b) Grenzwertüberschreitungen erfordern technische Bewertung

Ein Prüfergebnis „undicht“ ist kein zwingender Funktionsausfall.
Bauteile oberhalb des Grenzwertes sind als Grenzfälle zu behandeln und dürfen nur nach technischer Bewertung durch qualifiziertes Fachpersonal freigegeben oder verworfen werden.

c) Schulung und Bewusstseinsbildung

Das Prüfpersonal muss verstehen, dass der Dichtigkeitstest ein indirekter Funktionsnachweis ist.
Eine Leckageanzeige bedeutet: Grenzwert überschritten, nicht automatisch: Bauteil versagt im Betrieb.

d) Dokumentation und Rückverfolgbarkeit

Alle Prüfungen und Freigabeentscheidungen sind nachvollziehbar zu dokumentieren.
Insbesondere Grenzfälle (Bauteile „geprüft undicht“) müssen mit technischer Begründung oder Funktionsfreigabe erfasst werden.

Fazit

Der Satz „Dichtigkeitstest sagt undicht – Funktionstest sagt dicht!“ beschreibt keinen Fehler, sondern eine erwartbare Konsequenz unterschiedlicher Prüfbedingungen.
Lufttests sind empfindlicher und konservativer als reale Betriebsbedingungen.
Ihre Aufgabe ist es, sicherzustellen, dass kein Bauteil mit potenziell relevanter Undichtigkeit in den Prozess gelangt – auch wenn dadurch vereinzelt funktional dichte Teile ausgesondert werden.

Für die Qualitätssicherung bedeutet das:

  • „Geprüft dicht“ garantiert funktionale Dichtheit.

  • „Geprüft undicht“ erfordert technische Bewertung.

  • Prüfgrenzen müssen regelmäßig funktional überprüft werden.

Damit wird aus einem scheinbaren Widerspruch ein kontrolliertes Sicherheitskonzept, das sowohl Produktqualität als auch Wirtschaftlichkeit absichert.